Ein neuer Begriff für eine alte Kunst


"Prompt Literacy" – das klingt nach einem Fachbegriff aus der IT-Branche, ist aber im Kern eine uralte Fähigkeit: die Kunst, durch präzise und effektive Sprache gezielt Wirkung zu erzeugen. Und genau das ist auch das Ziel bei Kommunikation mit der KI.

Nur dass wir hier nicht Menschen adressieren, sondern Maschinen. Aber was passiert, wenn wir Maschinen fragen, aber nicht verstehen, wie sie antworten? Können wir ihnen wirklich vertrauen – oder werden wir unbemerkt von ihren Mustern und Wahrscheinlichkeiten beeinflusst? Und wie stellen wir sicher, dass die Qualität unserer Ergebnisse bei Mithilfe von KI nicht abnimmt?

Wissenschaftlich bezeichnet Prompt Literacy die Fähigkeit, präzise, reflektiert und kritisch mit generativen KI-Systemen zu interagieren – also Prompts zu formulieren, deren Ergebnisse zu interpretieren und in iterative Schleifen zu überführen, bis sie Sinn ergeben (Hwang, Lee & Shin, 2023).

Anders als Prompt Engineering, welche als "Unterkategorie" die technisch-praktische Formulierung von Prompts beschreibt, ist Prompt Literacy eine Denkdisziplin. Sie verbindet sprachliche Präzision mit analytischem Urteilsvermögen – und fordert, dass wir die Maschine verstehen und ihre Ergebnisse kritisch prüfen, bevor wir ihnen vertrauen.

Warum Prompt Literacy jetzt entscheidend wird


In vielen Branchen – von Beratung über Private Equity bis Investment Banking – verschiebt sich die Arbeit bereits leise.

Wer früher durch Shortcuts in Excel und PowerPoint brillierte, wird heute vor allem auch kluge Prompts nutzen müssen, um wirklich zu überzeugen, und effektiv gute Ergebnisse liefern zu können.

Prompt Literacy wird so zur neuen Grundkompetenz der Wissensarbeit.

Sie entscheidet darüber, wer mit KI nur Texte kopiert – und wer mit ihr denkt.

Studien (Maloy & Gattupalli, 2024) zeigen: Menschen, die bewusst mit KI interagieren, erzielen konsistent bessere, kreativere und verlässlichere Ergebnisse. Prompt Literacy steigert nicht nur Effizienz, sondern auch kognitive Tiefe.

Doch genau darin liegt ihr Dilemma. Denn wer mit KI arbeitet, kommuniziert mit einem System, das antwortet, aber nicht immer versteht.

Der blinde Fleck: Was wir sehen und was wir nicht sehen


Unsere Kommunikation mit KI ist trügerisch transparent.

Wir sehen Worte auf einem Bildschirm – eine scheinbar rationale Antwort – aber nicht den komplexen Prozess, der dahinter abläuft.

Wenn wir beispielsweise mit ChatGPT, Gemini oder Claude sprechen, erleben wir etwas, das menschlich wirkt, aber maschinisch strukturiert ist. Wir glauben, wir führen ein Gespräch, doch in Wahrheit trainieren wir ein Modell – wir füttern es, wir formen es, wir prägen seine Muster.

Das Sichtbare ist der Dialog; Das Unsichtbare sind die gewichteten Wahrscheinlichkeiten, die entscheiden, was KI antwortet, welche Quellen sie bevorzugt, welche Perspektiven sie ausblendet – und die bilden sich nicht zwingend anhand von Korrektheit, sondern oft eher Userverhalten.

Diese unsichtbare Schicht hat Folgen:

  • Sie prägt, wie wir denken, weil sie uns Rückmeldungen in scheinbarer Objektivität liefert, doch hier kontrollieren vielmehr Wahrscheinlichkeiten die Antworten.
  • Sie glättet Sprache, vereinheitlicht Widersprüche und erschafft eine kulturelle Mittelspur – effizient, höflich, konform, aber leider auch oft falsch, vorallem bei komplexeren Aufgaben.
  • Sie kann unser Urteilsvermögen unmerklich verschieben: Wenn KI plausibel klingt, halten wir sie oft zu schnell für klug und richtig.

Prompt Literacy bedeutet deshalb auch, diese Unsichtbarkeit zu durchdringen.

Es ist die Fähigkeit, nicht nur zu fragen, was KI sagt, sondern aufzudecken und zu verstehen, warum sie es sagt, was sie verschweigt – und wie wir die Kontrolle und den Durchblick über unsere digitalen Assistenten Bewahren.

Vom Prompt zur Haltung: Wie man Prompt Literacy entwickelt


Prompt Literacy lässt sich nicht einfach lernen, sie entsteht durch bewusste Interaktion.

Ein paar Prinzipien helfen, diese Haltung zu kultivieren:

Kontext ist alles
Je klarer der Rahmen (Ziel, Zielgruppe, Ton, Format, Zeitabschnitt, Unterkategorie, etc.), desto intelligenter reagiert das Modell.

Beispiel: "Schreibe eine sachlich-analytische Zusammenfassung des Themas XYZ, und dessen Ereignisse zwischen dem 12.9.23 - 7.11.24, für Finance Studenten, die sich für KI interessieren. Nenne mir deine benutzten Quellen."

Definiere Rollen
Gib der KI eine Perspektive: "Du bist ein erfahrener Analyst" oder "eine kritische Redakteurin." Dadurch steuerst du Stil und Denkrichtung, was automatisch mehr Kontext kreiert, denn genau hier kann die KI nur mit so viel arbeiten wie wir ihr geben.

Iteriere
Gute Ergebnisse entstehen selten beim ersten Versuch. Prompt Literacy heißt: überarbeiten, nachschärfen, prüfen. Und so entsteht der Loop, der am Ende das qualitativ hochwertige Ergebnis erzeugt das wir wollen. Die KI ist oft kompetent genug die Ergebnisse zu perfektionieren, aber nur so weit wie wir sie dazu kommandieren können.

Bleib skeptisch
Prüfe Fakten, erkenne Muster (vorallem bei Formulierungen), vergleiche mit unabhängigen Quellen, und bleibe immer kritisch. KI kann halluzinieren – höflich, aber häufig. Dieses Phenomen entsteht oft wenn wir ihr Fragen stellen auf die sie keine schlüssige Antwort findet. Denn sie ist aufgrund ihrer Programmierung davon abgeneigt "ich weiß darauf keine Antwort" zu sagen, denn das wäre natürlich schlecht fürs Geschäft...

Schütze Daten, bewahre Urteilsfähigkeit
Niemals sensible Informationen eingeben! Manche Firmendaten sind vertraulich, und dürfen auf keinen Fall in KI Modelle eingefügt werden. Übernimm auch keine Antwort, die du nicht überprüfst und selbst verstehst. KI denkt nicht – sie spiegelt Wahrscheinlichkeiten und Userverhalten.

Hochschulen und Unternehmen beginnen, diese Kompetenzen systematisch zu fördern. Studien (Lee & Palmer, 2025) zeigen, dass gezielte Schulungen die Qualität von KI-Nutzung signifikant erhöhen – besonders wenn Reflexion Teil des Trainings ist. Auch an der Oregon State University, wo ich derzeit ein Auslandssemester mache, gibt es bereits ein AI Program mit Master und PhD Abschlussmöglichkeiten, einer der ersten in den USA. Hierzu im nächsten Artikel mehr.

Die zweite Ebene der Kommunikation


Prompt Literacy verändert nicht nur unsere Arbeit, sondern auch unsere Kommunikation.

Wir lernen, uns präziser auszudrücken, um verstanden zu werden und Kontext zu schaffen – und werden dadurch selbst klarer in unserem Denken.

Doch die KI lernt ebenfalls: Jeder Prompt, jede Korrektur, jedes Feedback fließt in ein kollektives Gedächtnis ein, das unsere Kommunikationskultur langfristig prägt.

Wenn Millionen Menschen täglich ähnliche Fragen stellen ("Fasse zusammen", "Formuliere um", "Erstelle ein Pitch Deck"), entsteht eine unsichtbare Homogenisierung – ein globaler Stil der Verständlichkeit, der Vielfalt kosten kann.

Prompt Literacy bedeutet daher nicht nur, mit KI zu sprechen, sondern auch bewusst originell zu bleiben, Kontextvielfalt zu bewahren und den algorithmischen Mainstream nicht für Objektivität zu halten.

Zukunft: Prompt Literacy als Kulturtechnik


Prompt Literacy steht dort, wo Computerkenntnisse in den 1990ern standen – an der Schwelle von "Nice-to-have" zu Grundvoraussetzung.

In Zukunft wird sie nicht nur den Unterschied machen zwischen guten und schlechten Ergebnissen, sondern zwischen menschlicher Tiefe und maschineller Routine.

In der Wirtschaftswelt heißt das: nicht nur Analysen, Modelle und Slides effizienter bauen, sondern die neuen Mittel zur tiefgreifenden Recherche nutzen und Ergebnisse reflektierter und kritischer interpretieren.

In der Gesellschaft: Sprache wieder als das begreifen, was sie immer war – ein Instrument der Motivation und Verantwortung – und vorallem präziser Kommunikation ohne Spielraum für fehlerhafte Interpretation.

Denn wer mit Maschinen spricht, prägt ihren Output, und der wiederrum die Ergebnisse welche sie uns liefern.

Fazit


Prompt Literacy heißt, dass wir Maschinen mit derselben Ernsthaftigkeit begegnen, mit der wir früher Lehrer, Mentoren oder Textbücher befragt haben – präzise, kritisch, neugierig und (selbst-)reflektiert.

Die größte Gefahr ist nicht, dass KI uns ersetzt. Die größte Gefahr ist, dass wir aufhören zu prüfen, was wir ihr glauben, und von ihr lernen. Wir müssen uns immer im Klaren sein, dass sie uns nur so gute Antworten liefern kann, wie wir ihr Kontext und Rahmenbedingungen, und das für uns nutzen um sie optimal zu nutzen und über sie hinaus zu denken.

Oder um Hwang et al. (2023) zu zitieren:

"Prompt Literacy is not about talking to machines - it’s about learning to think with them."

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